Prometheuskomplex


Der Begriff wurde von Gaston Bachelard (*27.06.1884; + 16.10.1962) geprägt. Dabei ist das Wort "Komplex" als eine Bündelung von Energien und somit positiv zu verstehen. Damit treten wir ein in die Tiefenpsychologie und suchen nach Erklärungsansätzen für ein bestimmtes Verhalten.

 

Auf dt. übersetzt bedeutet Prometheus soviel wie "der Vorausdenkende". In der griechischen Mythologie gilt er als Freund und Kulturstifter der Menschheit.  Seine Herkunft ist zwar nicht göttlich, aber titanisch, was ihn zu einem Mitglied eines mächtigen Göttergeschlechts macht. Aufgrund der Sage wird er auch als Feuerbringer (Pyrphoros) bezeichnet. Der Prometheuskomplex lässt sich am besten verstehen, wenn man die gleichnamige griechische Sage kennt.


Die Prometheus-Sage

Aufgrund einer betrügerischen Vorgeschichte zum Wohle der Menschheit war der Göttervater Zeus zörnig und entzog den Menschen zur Strafe das Feuer. Prometheus, der Freund der Menschen, stieg daraufhin in den Olymp, um ein Holzstück am funkensprühenden Sonnenwagen des Helios zu entzünden und den Menschen das Feuer wiederzubringen. Mit seiner lodernden Fackel kehrte er zurück und setzte einen Holzstoß in Flammen.

Zeus, dem diese Aktion gar nicht gefiel, wollte Rache. So befahl er seinem Sohn Hephaistos, das Trugbild einer schönen Frau zu gestalten. Dieses Trugbild wurde durch Athene mit einem Gewand aus Blumen geschmückt. Hermes verlieh ihr zudem eine bezaubernd schöne Sprache und Aphrodite schenkte ihr einen besonderen Liebesreiz. Das Trugbild dieser schönen Jungfrau nannte man Pandora, die Allbeschenkte.

 

Bevor Zeus mit ihr zur Erde herab stieg, übergab er ihr eine Büchse, in die jeder Göttliche eine unheilbringende Gabe eingeschlossen hatte. Auf der Erde angekommen übergab er Pandora als Geschenk an Epimetheus ("der Nachherbedenkende"), dem Bruder des Prometheus. Dieser hatte zwar von Prometheus eine Warnung erhalten, nahm die Jungfrau aber dennoch auf. Dann öffnete sie den Deckel der Büchse und alle unheilbringenden Gaben kamen heraus. Nur die Hoffnung blieb der Sage nach in der Büchse zurück, als sie den Deckel schnell wieder schloss.  Seit diesem Tag werden die Menschen Tag und Nacht von Fieberkrankheiten, Leiden und plötzlichem Tod heimgesucht.

Prometheus
Abb. Prometheus

Doch nicht nur die Menschen sollten für die Wiedererlangung des Feuers bestraft werden, sondern auch Prometheus selbst. So lies Zeus ihn in Gefangenschaft nehmen und ihn in die schlimmste Einöde des kaukasischen Gebirges schleppen. Dort wurde er an einen Felsen über einem Abgrund gefesselt. Ohne Schlaf und Nahrung musste Prometheus dort ausharren. Um sein Leid noch zu vergrößern, kam jeden Tag ein Adler und fraß von seiner Leber, die sich jedoch, weil er unsterblich war, immer wieder erneuerte. Prometheus flehte um Gnade, aber Zeus blieb unerbitterlich. Viele Jahrhunderte dauerte seine Qual, bis schließlich Herakles ihn voller Mitgefühl erlöste.



Die Sage lässt erkennen, dass zwischen den Göttern und den Menschen eine Rivalität herrschte. Dabei waren die Götter die Mächtigen und die Menschen die Machtlosen. Es scheint verständlich, dass die Menschen sein wollten wie die Götter. Diese hingegen wollten ihre Macht nicht teilen. Der Besitz des Feuers hob den Menschen nicht nur endgültig vom Tier ab, sondern gab ihnen auch gottähnliche Macht. Dies wollte Zeus verhindern und so entzog er den Menschen das Feuer. Dies stellte den Menschen vor ein Problem.

 

"Wollte der Mensch, Mensch bleiben, musste er das Feuer stehlen oder stehlen lassen durch den Vorausdenker Prometheus"

(Ell, 1983, S. 31).

 

Mit dem Wissen der Sage im Hinterkopf ist nun eine Verständnisgrundlage für den oben genannten, gleichnamigen Komplex geschaffen.


Der Prometheuskomplex

In Anlehnung an die Sage beschreibt der Prometheuskomplex ein psychologisches Phänomen. Es darf daher heute mit entwicklungspsychologischer Berechtigung davon gesprochen werden, dass aus Sicht des Kindes der Vater in der Familie eine ähnliche Rolle wie der Göttervater in der griechischen Mythologie einnimmt. Das Wort "Vater" ist in diesem Zusammenhang als Symbol für die elterliche Macht zu verstehen und schließt somit die Mutter mit ein.

 

Die Rivalität, die zwischen Menschen und Göttern besteht, wird hier übersetzt in die Rivalität zwischen Kindern und Eltern. Eltern sind die ersten Menschen mit denen sich ein Kind aktiv auseinander setzt und an denen es sich orientiert. In den Phasen ihrer Entwicklung kopieren sie das Verhalten der Eltern und sind bestrebt so zu sein wie sie. Dabei kommt es jedoch immer wieder zu Differenzen zwischen den Ansichten der Kinder und denen der Eltern.

Ähnlich wie die Götter, die den Menschen das Feuer entzogen haben, verhalten sich auch die Eltern, indem sie den Feuerbesitz ihrer Kinder häufig gar nicht erst zulassen. Sie verbieten und sanktionieren ihn.

 

Es liegt jedoch in der Natur der Kinder das Feuer erfahren zu wollen. Dieser Drang scheint beim Blick in die Literatur jedoch bei Jungen stärker ausgeprägt zu sein als bei Mädchen. Weil sich die Kinder noch zu machtlos fühlen, um den Eltern auf eine gleichwertigen Ebene zu begegnen, muss "der Prometheus in den Herzen der Kinder den Eltern das Feuer stehlen" (Ell, 1983, S. 37). Anders ausgedrückt bedeutet dies, wenn die Kinder ihre Feuererfahrung nicht ganz offen (unter Aufsicht und Schutz der Eltern) machen dürfen, müssen sie es heimlich tun (z. B. in der Deckenhöhle oder hinter der Gardine), denn schließlich wollen sie die gleiche Kompetenz erwerben, wie ihre elterlichen Vorbilder oder sie gar übertreffen. Gaston Bachelard spricht in diesem Zusammenhang auch vom Willen zur Intellektualität. Das hier beschriebene Verhalten der Kinder wird als Prometheuskomplex bezeichnet.


Tradition ist nicht die Aufbewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.

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